12.04.2020

Mit Abstand - am meisten Kontakt

- Gedanken zu Ostern 2020

Es war wohl vor zwei Wochen, das öffentliche Leben ging langsam zurück, Kindergärten und Schulen waren längst geschlossen. Ich führte ein Telefonat mit einer Witwe, deren Mann glücklicherweise noch vor dieser Zeit begraben werden konnte. Damals hatten wir keine Ahnung von all dem, was auf uns zukommen sollte.

Wir sprachen davon wie das Leben ohne die körperliche Präsenz des Mannes seither weitergegangen ist und weitergeht. Irgendwann im Verlaufe des Telefonats kamen wir auch auf das Leben aller, das sich in den letzten Wochen so sehr verändert hatte. Auf meine Bitte hin, schilderte die Frau ihr empfinden: „Es ist gedämpft, ähnlich wie im Winter, wenn alles von Schnee bedeckt ist. Zugleich ist auch Anspannung zu spüren - irgendwie Umbruch.“ Und dann erzählte sie von ihrer Begleiterin, die schon Ende letzten Jahres davon gesprochen hatte, dass das Jahr 2020 für alle Menschen - und damit meinte sie wirklich alle weltweit – ein ganz besonderes Jahr werden würde. Wir würden wachgerüttelt.

Da fiel mir jene Stelle aus dem Johannes-Evangelium ein, die ich gelegentlich bei Trauerfeiern verwende. Maria aus Magdala entdeckt das leere Grab. Petrus und ein weiterer Jünger sehen es auch, aber begreifen noch nicht, was geschehen ist. Maria bleibt und blickt nochmals hinein. Jetzt kommt es zu der anrührenden Szene: Zwei Engel, die plötzlich da sind, sprechen sie in ihrer Trauer an: Frau, was weinst Du? Beim Weggehen vom Grab erblickt sie Jesus, der ihr gegenübersteht. Aber sie erkennt ihn, die Augen voller Tränen, nicht. Auch Jesus spricht sie an: Frau, was weinst Du? Wen suchst Du? In einer pfälzischen Übersetzung würde es wohl so klingen: Mädel, was greinscht? Und immer noch glaubt Maria, es sei der Gärtner. Erst als er sie anspricht: Maria! Da begreift sie und antwortet auf Hebräisch: Rabbuni, was Lehrer heißt. Jetzt kommt der alles entscheidende Satz: „Sagt Jesus zu ihr: Halte mich nicht fest! Denn noch bin ich nicht zum Vater aufgestiegen.“ Bislang deutete ich dies bei der Traueransprache so: Jesus fordert Maria auf ihn mit seinem irdischen Leben loszulassen, damit sie durch ihre Trauer hindurch wieder ins Leben zurückfindet – in ein ge- und verwandeltes Leben. Nicht ohne - sondern mit Jesus, der seine Zusage der Nähe so ausdrückt: „Doch geh zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich steige auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“

Vielleicht brauchen wir Menschen Sinnenhaftes wie das leere Grab oder Brot und Wein. Aber vor allem geht es bei der Auferstehung Jesu und seiner bleibenden Gegenwart bei uns Menschen um eine geistige Wirklichkeit – „ich steige auf zu meinem Vater“. Deswegen ist mit der Auferstehung auch untrennbar die Aussendung des Geistes Jesu verbunden. Ist das nicht das, was wir gerade alle erleben? Das Materielle und das Körperliche tritt zurück und die Welt des Geistes bekommt Raum. Immaterielles wie Musik, Bücher oder Kunst treten in den Vordergrund. Aber auch unsere Solidarität, Kreativität und Zuwendung zu den Menschen werden hervorgelockt. Gerade solche, die schon wenig Kontakte hatten, wie ältere Leute – zumeist ohne Internet und moderne soziale Medien – brauchen jetzt besondere Aufmerksamkeit. Deswegen habe ich es von Anfang an nicht verstanden, dass von „sozialer Distanz bzw. Distanzierung“ gesprochen wurde. Nein, gerade jetzt brauchen wir viel mehr soziale Kontakte - „Mit Abstand – mehr Kontakt“. Und in der Tat, mir und wahrscheinlich auch anderen, geschieht es tagtäglich. Es ergeben sich viel mehr ernsthafte Gespräche – jenseits des üblichen Small Talks – aber nicht nur über das Thema Corona, sondern auch normale Themen oder ausgesprochen über Fragen des Glaubens. So wie bei diesem Telefonat.

Statt wie normalerweise in die Kirche zu gehen, um Ostern zu feiern, können wir die Türen unserer Herzen, können wir die Türen unseres Alltags und unseres ganzen Lebens aufmachen: Jesus ist da! Er ist wahrhaft auferstanden!

„Auch wir werden nach diesen Tagen, die hoffentlich kurz sein werden, auferstehen und aus den Gräbern unserer Häuser herauskommen. Aber nicht, um wie Lazarus in das frühere Leben zurückzukehren, sondern in ein neues Leben, wie Jesus. Ein geschwisterlicheres, menschlicheres, christlicheres Leben!“
(P. R. Cantalamesse OFMcap, Predigt Liturgie am Karfreitag, Petersdom 10.04.2020)

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